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Als Jesus am Kreuz starb, feierte man in Jerusalem des Passafest, das Fest der Erlösung. Die Erinnerung an die Befreiung aus der Knechtschaft von Ägypten. Im Tempel wurden die Passalämmer geschlachtet, und in der Nacht beim Essen erzählte man sich von den großen Taten Gottes. Mit der Zerstörung des Tempels von Jerusalem endete dann jedoch auch das Schlachten der Passalämmer. Nur das kleine Volk der Samaritaner, das seinen eigenen Tempel auf dem Berg Garizim hatte, feiert bis heute Jahr für Jahr das Passafest nach biblischer Tradition. Eine faszinierende Zeitreise in die Welt der biblischen Feste.
Das Volk der Samaritaner entstand durch die Aufteilung des salomonischen Königreichs in ein Nord- und ein Südreich. Die Samaritaner verstehen sich als Nachfahren der nördlichen Stämme des Volkes Israel, die sich nach dem babylonischen Exil endgültig vom südlichen Stamm Juda, den „Juden“, trennten. Heute leben noch etwa 750 Samaritaner in Israel.
Die traditionelle Heimat der Samaritaner ist der Berg Garizim, der höchste Berg im Bergland von Samaria. Viele Samaritaner leben zwar inzwischen in der modernen Stadt Holon am Mittelmeer, aber zu den biblischen Festen versammeln sie sich jedes Jahr wieder hier auf dem Garizim.
Vom Gipfel des Berges aus reicht der Blick über das fruchtbare Hochland von Samaria. Im Westen kann man von hier aus bei gutem Wetter das Mittelmeer erblicken, im Osten (Bild) sieht man bis zum Jordantal und auf die dahinter liegenden Berge von Gilead im Ostjordanland, die heute zu Jordanien gehören.
Auf dem Gipfel des Bergs sieht man noch heute die Überreste einer monumentalen Tempelanlage. Nach samaritaníscher Tradition war hier, nicht in Jerusalem, der Ort, den Gott eigentlich für seinen Tempel vorgesehen hatte. Zu diesem Tempel blickte auch die Frau am Jakobsbrunnen vermutlich hinauf, als sie zu Jesus sagte: „Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, aber ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll“ (Joh. 4,20).
Im Tal, zwischen den Bergen Garizim und Ebal, liegt das biblische Sichem. Hier machte Abraham seine erste Station im verheißenen Land (1. Mose 12,6. Ebenso machte es das Volk Israel nach der Landnahme (Josua 8,30-34). Und hier begegnete Jesus der Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4), über dem später eine kleine christliche Kirche entstand.
Heute trägt die Stadt den Namen „Nablus“, der aus dem römischen „Neapolis“ entstand. Nablus ist bis heute eine der wichtigsten Städte im Westjordanland, politische Hochburg der islamischen Hamas und Sitz einer islamischen Universität.
Hoch über der Stadt, vor den Ruinen ihres alten Tempels, versammeln sich die Samaritaner Jahr für Jahr zur Feier des Passafestes. Unter der Leitung ihres Hohepriesters (im Bild der 2008 verstorbene Eleasar ben Zedaka), der seinen Stammbaum lückenlos auf Aaron zurückführt, haben sie viele alte Bräuche aus biblischer Zeit bis heute nahezu unverändert bewahrt.
Am Nachmittag des Festes bringt jede Familie ein Passalamm. Die Lämmer müssen fehlerlos sein (2. Mose 12,5) und werden vorher eingehend von einem Priester begutachtet.
Da das ehemalige Tempelgelände als archäologisches Denkmal geschützt ist, finden die feiern auf benachbarten provisorisch hergerichteten Grundstück statt. Hier werden schon am schon am Nachmittag in tiefen Erdgruben Feueröfen entzündet, in denen die Lämmer später gebraten werden.
Mit dem Einbruch der Dunkelheit beginnen die festlichen Gesänge, die sich über mehr als eine Stunde hinziehen. Dann, zu einem festgesetzten Zeitpunkt, werden die Lämmer
gleichzeitig geschlachtet. Der Tod tritt innerhalb von Sekunden ein, und die Tiere ergeben sich erstaunlich ruhig in ihr Schicksal. Man wird an die biblischen Worte erinnert: „Er litt willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.“ (Jesaja 53,7).
Gleich nach dem Schlachten werden die Lämmer von Vätern und Söhnen gemeinsam für das Essen zubereitet. Die Felle werden in den Erdöfen vollständig verbrannt. Anschließend werden die Passalämmer auf lange Pfähle gespießt, in die Öfen versenkt und mit Erde bedeckt. Bis in die Nacht hinein wird dann gefeiert, gesungen und getanzt. Noch in der Nacht wird dann das ganze Passalamm in der Familie verzehrt (2. Mose 12,46 und 34,25)
Für den christlichen Lehrer Justin, der im zweiten Jahrhundert in Neapolis (Nablus) lebte und sicher schon als Kind die Passafeiern der Samaritaner miterlebte, waren die auffälligen kreuzförmigen Holzspieße, auf denen die Lämmer gebraten wurden, eine eindrückliche Erinnerung an das Kreuz Jesu: „Der Befehl, jenes Lamm müsse vollständig gebraten werden, war ein Hinweis auf das Kreuzesleiden, dem sich Christus unterziehen wollte. Wenn nämlich das Lamm gebraten wird, erhält es die Form eines Kreuzes: einer von den Bratspießen durchbohrt dasselbe senkrecht von den Hinterbeinen bis zum Kopf, der andere dagegen, an dem die Vorderfüße des Lammes angeheftet sind, quer durch die Schultern.“ (Dialog mit Trypho 40,3)
Für gewöhnlich findet das Schlachten der Lämmer mit Einbruch der Dunkelheit statt (2. Mose 12,6). In manchen Jahren jedoch, wenn das Passafest auf einen Freitag fällt, müssen die Lämmer schon am hellen Nachmittag geschlachtet werden, damit der Sabbat nicht verletzt wird. Zuletzt war das 2005 der Fall, aus diesem Jahr stammen auch einige der hier gezeigten Bilder. Dieser Sonderfall lag übrigens auch in dem Jahr vor, in dem Jesus starb. Sein Tod am Kreuz fiel daher vermutlich mit dem Schlachten der Lämmer am Nachmittag zusammen. Einige Sonderregelungen und Ungenauigkeiten des Kalenders erlaubten es allerdings auch, dass das Passamahl schon einen Tag früher gefeiert werden konnte. So kommt es, dass Jesus mit seinen Jüngern schon am Donnerstag Abend ein vorgezogenes Passamahl feierte.
Während die Lämmer auf ihre Zubereitung warten, beginnt die Gemeinde der Samaritaner mit dem inoffiziellen Teil der Feiern: Jetzt wird gesungen und gelacht, getanzt und erzählt: Man singt Psalmen und Lobpreislieder, man erzählt sich gegenseitig von den wunderbaren Taten Gottes – damals in Ägypten und heute im Land Israel. Und man bekommt eine Ahnung davon, wie eine Passafeier auch in Jerusalem zur Zeit Jesu ausgesehen haben könnte.
Die Passafeiern der Samaritaner lassen die Berichte der Bibel auf eigentümliche Weise lebendig werden. Als westlich geprägte Christen sind uns die Erzählungen von blutigen Opfern, Hohepriestern und Tempelgottesdiensten oft sehr fremd. In der Begegnung mit den Samaritanern habe ich aber noch einmal einen ganz anderen Blick auf die biblischen Feste gewonnen: Der natürliche und selbstverständliche Umgang schon kleiner Kinder mit den biblischen Traditionen, die Mischung aus liturgischen Gesängen und wimmeliger Unordnung, das Nebeneinander von tiefem Ernst und ausgelassener Freude, all das lässt die manchmal trockenen Gesetzestexte der Bibel in neuem und buntem Licht erscheinen.
Und zugleich macht vieles, was man hier erlebt, auch noch einmal ganz neu deutlich, was Paulus meint, wenn er schreibt: „Denn auch wir haben ein Passalamm, das ist Christus, der geopfert ist“ (1. Korinther 5,7): Das Stechen im Herz, das man verspürt, wenn man den Weg der Lämmer zu ihrem Schlachter beobachtet. Und zugleich die Ruhe und Majestät, die sie dabei ausstrahlen. Die ausgelassene Freude der Kinder über das bevorstehende Fest. Und die tiefergehende Freude der Alten, wenn sie ihre Stirnen mit dem Blut des Lammes zeichnen und sich dabei von der Erlösung erzählen. Tanz und Jubel, Essen und Trinken, weil Gott sein Volk befreit und in ein neues Leben führt. Dann versteht man, warum es ausgerechnet ein Passafest war, an dem Jesus für uns den Weg ans Kreuz ging.
Quelle: Ein Passafest wie aus biblischer Zeit – Faszination Bibel 1/2012, S. 6-11 (5 MB)
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