Der Jesus – Mythos
Wer ist Jesus? Eine persönliche Entdeckungsreise
Als ich ein Kind war, war meine Beziehung zu Jesus sehr schlicht: Er war mir wohlbekannt durch all die Geschichten aus dem Kindergottesdienst und nahm seinen Platz ein zwischen Peter Pan und dem rosaroten Panther, zwischen Winnetou, Dick und Doof und anderen Helden meiner Kindheit
Der Gelähmte vom Dach war für mich genauso real wie Karlsson vom Dach, Pontius Pilatus ebenso wirklich wie Lucky Luke. Ich hätte nie daran gezweifelt, dass irgendeine dieser Gestalten nicht echt und oder real sein könnte. Aber trotz ihrer unhinterfragten Realität blieben sie alle doch gleichermaßen fern meiner eigenen Realität.
Willkommen in der Realität!
Als Teenager fing ich damit an, Realität und Fiktion voneinander zu trennen: Der rosarote Panther landete in der Fiktionskiste, Dick und Doof wurden zu Laurel und Hardy und Jesus wurde plötzlich unbequem real. Ich begann, die Evangelien im Originaltext zu lesen und lernte einen Jesus kennen, der eine echte Persönlichkeit war. Nicht nur ein Held in einer Geschichte. Und ich war so fasziniert von diesem Jesus, dass ich beschloss, ihm zu folgen.
Die bunten Bilder von Anne de Vries (so hieß der Kees de Kort unserer Generation) wurden langsam überlagert von den schwarzweißen Bildern des Pasolini-Jesusfilms. Die Sonntagsschulgeschichten wurden verdrängt von den kernigen Worten der Bergpredigt. Jesus wurde eine Realität im Alltag.
Erste Zweifel
Religion im Abi und die ersten Semester Theologie brachten wieder eine ganz neue Wendung: Hier erfuhr ich, dass wir eigentlich gar nichts über Jesus wissen. Er sei nur ein relativ bedeutungsloser Rabbi in einem relativ bedeutungslosen Teil der Welt vor langer langer Zeit gewesen. Vielleicht eine Inspiration für heutige Fragen und Ideen, aber nicht mehr als das. Also wieder zurück in die Kiste zu Winnetou und dem rosaroten Panther? War Jesus nur ein Mythos? Um mich herum hörte ich verschiedene Stimmen: Die ganz Frommen sagten: Du darfst nicht kritisch fragen, was historisch wahr ist, du musst es einfach glauben! Die ganz Kritischen sagten: Was historisch nicht wahr ist, das darfst du auch nicht glauben! Und die theologisch Gewitzten sagten: Es ist zwar historisch nicht wahr, aber unser Glaube ist davon ganz unabhängig. Auch ein Mythos ist doch irgendwie real. Das waren die, die Karriere machen konnten.
Falsche Alternativen und der wahre Mythos
Mich hat das nicht befriedigt. Gegen die historische Realität glauben wollte ich nicht. Aber den Glauben aufgeben wollte ich auch nicht, dafür war mir Jesus viel zu real begegnet. Was tun? Es musste noch eine dritte Lösung geben neben unhistorischen Glauben und ungläubigem Historismus. Also machte ich mich auf die Suche, nutzte mein Studium für ausführliche Nachforschungen, und machte eine erstaunliche Entdeckung. Je tiefer ich grub, desto fester wurde der Grund, auf den ich stieß: Die Evangelien, bisher allenfalls interessante und herausfordernde Geschichten, entpuppten sich bei näherem Hinsehen als erstaunlich detaillierte und zuverlässige Tatsachenberichte. Allen Indizien nach zu urteilen sogar als Augenzeugenberichte, was für Literatur aus dieser Epoche sehr außergewöhnlich ist. Ich hatte gar nicht gewusst, wie viele Hintergrundinformationen es über die Entstehungsgeschichte und die Autoren der Evangelien gibt: Archäologische Entdeckungen, Berichte der frühen Kirchenväter, alte Handschriftenfunde, außerbiblische Zeugnisse antiker Schriftsteller und mehr. In der Schule hatte man mir immer beigebracht: „Nichts genaues weiß man nicht“. Aber das stimmte gar nicht. Man wusste sehr viel, aber man glaubte es oft nicht. Was uns vordergründig als begründeter wissenschaftlicher Zweifel verkauft wurde, war in Wirklichkeit oft einfach nur irrationaler ideologischer Vorbehalt. Aber je mehr ich fragte, desto mehr verlässliche Antworten fand ich. Der einzige Mythos, auf den ich stieß, war der von der Unzuverlässigkeit der Bibel. Und mein Glaube an Jesus bekam, statt ins Wanken zu geraten, immer festeren Grund. Das war es, was Lukas sich gewünscht hatte: „So habe ich versucht, alles von Anfang an sorgfältig zu erkunden und es in guter Ordnung aufzuschreiben, damit du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet worden worden bist.“ (Luk 1,2)
Faszination Jesus
Leider reicht hier der Platz nicht aus, um die Ergebnisse dieser Suche ausführlich zu beschreiben. Nachzulesen sind sie aber in dem Buch „Faszination Jesus“, das in dieser Zeit in Zusammenarbeit mit Roland Werner entstanden ist. Die historischen Fragen sind aber in diesem Buch eher ein Nebenschauplatz. Denn es geht um viel mehr als nur um historische Tatsachen. Und je länger ich mich mit der Frage nach Jesus beschäftigt habe, desto mehr merkte ich, wie sehr die ganze Diskussion um den „Mythos Jesus“ nur eine Strategie ist, sich den realen Jesus vom Leibe zu halten. Denn der ist unbequem. Und gleichzeitig faszinierend anziehend. Aber gegen beides kann man sich wehren, wenn man Jesus auf einen knappen historischen Steckbrief reduziert, wie ich es in meiner Schulzeit und im Konfirmandenunterricht gelernt habe: Jesus. Geboren in Bethlehem. Aufgewachsen in Nazareth. Beruf Zimmermann. Heilte und predigte. Rechtswidrig verhaftet und zum Tode verurteilt. Kreuzigung und Gerüchte von einer Auferstehung. Und was kam dann? Jesus predigte das Reich Gottes, aber gekommen ist die Kirche. So ein Jesus – aller Farbe beraubt – klingt natürlich blass, unattraktiv und ungefährlich.
Aber das ist nicht der Jesus des neuen Testamentes. Wer ihn wirklich kennenlernen will, der muß sich die Zeit nehmen, die Berichte derer, die ihn kannten, ausführlich zu lesen. Und der entdeckt dort einen Mann mit Charakter, mit Humor und Scharfsinn. Einen Mann, der etwas zu sagen hat. Einen Menschen, dessen Leben von Anfang an für Aufsehen sorgte: Aufsehen in seiner eigenen Familie, die überrascht war, als Gott so unerwartet in ihr Leben hineinwirkte. Aufsehen bei den geistlich Armen auf den Feldern, die plötzlich merkten, wie wichtig sie für Gott sind. Aufsehen auch bei den politisch Einflußreichen, die um ihre Macht fürchteten und Jesus umbringen wollten. Und Aufsehen bei den Anhängern östlicher Spiritualität, die einen langen Weg auf sich nahmen, um Jesus kennenzulernen. Dieses Aufsehen charakterisierte sein Leben bis zu dem Tag, als ein römischer Hauptmann aufsah zum Kreuz und sagte: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen“. Und die bis heute sehen die Menschen mit ähnlichen Motiven, mit Furcht, Erstaunen und Bewunderung auf zu Jesus.
Was mich an Jesus begeistert
Mein persönlicher Zugang zu Jesus hat sich in verschiedenen Phasen entwickelt. Ganz am Anfang standen – wie schon gesagt – die Kindergotesdienst-Berichte von Heilungen, von Wundern, von Kreuz und Auferstehung. Und die erstaunlichen Geschichten, die Jesus erzählte: Von verlorenen Schafen, Groschen und Söhnen. Und von einem Gott, der uns so sehr liebt, wie Jesus die Menschen liebte. Wenn ich daran denke, dann wundere ich mich eigentlich darüber, wie wenig diese Seiten von Jesus in den ewig wiederkehrenden Enthüllungs-Storys von Spiegel, Fokus und anderen über den „wahren Jesus“ erwähnt werden. Ist es eigentlich tatsächlich so undenkbar, dass der „echte“ Jesus ein Mann war, der die Menschen liebte und von Gott redete?
Vielleicht ist es einfacher, wenn man in Jesus nur einen weisen Lehrer, einen Moralprediger oder vielleicht noch einen politischen Revolutionär sieht. Das jedenfalls war das, was auch mich als Teenager faszinierte: Diese Radikalität, diese erstaunlich anderen Werte und diese unglaublich vorwärtsweisenden Ideen: Ich verschlang die Bergpredigt gleich mehrere Male von vorne bis hinten und entdeckte immer wieder, wie relevant diese Worte für mein Leben und für unsere Gesellschaft sind. Würden wir anfangen, danach zu leben, würde sich unsere Welt radikal ändern. Das las ich auch in den Büchern von Franz Alt, Ron Sider und im dran-Vorgänger PUNKT. Und es sind ja auch diese Seiten von Jesus, die sich bis heute gut vermarkten und öffentlich zitieren lassen.
Das Problem war nur: Warum tat es keiner? Es hatte wohl etwas damit zu tun, das unser Leben sich nur von innen heraus wirklich ändern kann. Es hatte etwas mit Charakter und Persönlichkeit zu tun – mit innerer Heilung und Entwicklung einer christlichen Identität. Was Jesus sagte, das konnte man nicht einfach „machen“, man musste es „werden“. Und so fing ich an, mich für Jesus, die Persönlichkeit, zu interessieren: Nicht so sehr, was er tat oder was er sagte, sondern was er war, wurde für mich wichtig. Ich wollte nicht nur in meinem Kopf von Jesus lernen, sondern in meinem Herz ihm ähnlicher werden. So wie es Paulus schreibt: „Seid untereinander so gesinnt, wie es Jesus entspricht“ (Phil.2,5) oder „…wie auch Jesus es ist“. Die Ausleger streiten sich darum, wie es richtig übersetzt wird. Dabei liegt der Schlüssel vermutlich darin, das beides zusammenkommt: Jesus, der uns zeigt, was richtig ist. Und Jesus, der selbst in uns lebt und in unserem Charakter Gestalt gewinnt.
Natürlich habe ich mir in jeder Phase meines Lebens mein eigenes Bild von Jesus zusammengebastelt. So wie es jeder tut. Immer gab es Bilder von Jesus, die vom Trend der Zeit motiviert waren und eigentlich nur das widerspiegelten, was gerade in der Luft lag. Schlimm ist das nicht, solange man darum weiß. Gefährlich wird es nur, wenn man sein Jesus-Bild als das einzig wirklich echte und wahre verkauft. Das ist aber die Stragegie von Jesus-Verschwörungstheoretikern oder von Jesus-Aufmachern der großen deutschen Nachrichtenmagazine. Eine gute Korrektur und hilfreiche Übung ist es sicher, sich in jeder Phase seines Lebens immer wieder gerade die Seiten von Jesus vor Augen zu halten, die man als unbequem, unpassend oder anstößig empfindet. Denn das sind meistens die, von denen man auf dem nächsten Schritt seiner Reise am besten lernen kann.
Wenn ich heute zurückblicke, möchte ich keine dieser verschiedenen Phasen vermissen: Am wenigsten das Wissen, dass Jesus heute lebt, mich liebt und in mir Gestalt gewinnt. Aber genauso wenig das, was ich von ihm lernen kann über ein alternatives Leben, eine bessere Welt und eine veränderte Einstellung. Und auch die Berichte von Zeichen und Wundern sind für mich heute weit mehr als spannende Kindergottesdienst-Geschichten. Sie sind mächtige Signale einer heranbrechenden neuen Zeit, und sie sind eine Realität, die wir auch heute erleben können. Und so hat mich meine Entdeckungsreise über Umwege wieder zu dem geführt, was am Anfang wichtig war: In die schlichte Beziehung zu Jesus.
Vielleicht bin ich deshalb so gerne und von Herzen Anbetungsleiter. Weil es darum geht in der Anbetung: Nicht um neue Musik, nicht um alternative Gotesdienstformen, nicht um charismatische Höhenflüge. Sondern einfach um Jesus. „It’s all about you, Jesus.“
Quelle: Wie real ist Jesus? Eine persönliche Entdeckungsreise – dran 6/2003
(Original-Artikel hier als PDF herunterladen).